Stress, Schatten- und Sonnenseiten

Dieses Thema im Forum "Krankheiten" wurde erstellt von Micra3, 23. November 2007.

  1. Micra3

    Micra3 Guest

    Stress bei Meerschweinchen

    Stress ist heutzutage in aller Munde – wer ist davon nicht betroffen? Doch nicht nur Menschen können unter Stress leiden, auch bei Tieren wird diesem Problem in letzter Zeit vermehrt Beachtung geschenkt. Denn chronischer Stress kann krank machen. Besonders dann, wenn sich das Indivioduum ständig überfordert oder seiner Lebenssituation nicht gewachsen fühlt. Die Folgen sind eine Schwächung des Immunsystems, eine Schädigung des Herz-Kreislauf-Systems und verschiedenste Folgekrankheiten.

    Was ist Stress?
    Stress ist die Reaktion des Körpers auf einen äusseren oder einen aus dem Körper selbst stammenden Reiz. Man nennt diese Reize auch Stressoren. So kann zum Beispiel eine Krankheit genauso ein Stressor sein wie die zu hohe Belegungsdichte eines Geheges oder unangenehme klimatische Verhältnisse. Wirkt ein Stressor auf ein Lebewesen ein, kommt es zu einer charakteristischen physiologischen Veränderung. Bei Wirbeltieren bewirkt Stress eine Änderung im Hormonhaushalt, die weitreichende Folgen für den ganzen Körper haben kann. Diese Änderung soll es dem Tier ermöglichen, eine angemessene Reaktion auf den Stressor zu zeigen, zum Beispiel Kampf oder Flucht. Tiere, die unter dem Einfluss von Stressoren stehen, haben unter anderem einen erhöhten Cortisol- und Adrenalinspiegel.
    Aber der Organismus hat auch die Möglichkeit, mit Stress umgehen zu lernen. Kann man selbst Einfluss auf unangenehme Situationen nehmen, indem man entsprechende Handlungen setzt, wird der Stress durch diese Situationen deutlich reduziert. Man spricht von Coping. H bei Tieren so wichtig, dass sie schon als jungtiere lernen, mit milden Stresssituationen umzugehen und von klein auf viele möglichst positive Erfahrungen machen.
    Meerschweinchen sind hoch soziale Tiere, die komplexe, stabile Gruppenstrukturen ausbilden. Wie bei den meisten Säugetieren ist die Mutter für die Jungtiere ein wichtiger Bezugspunkt, aber auch zwischen erwachsenen Meerschweinchen kommt es zu stabilen Partnerschaften, die den einzelnen Tieren Rückhalt in stressigen Situationen bieten.

    Ursachen für Stress
    Bei Meerschweinchen kommt dem sozialen Stress eine grosse Bedeutung zu. So ist zum Beispiel schon die Trennung des Jungtieres von Mutter und Wurfgeschwistern für das Meerschweinchen eine grosse Stresssituation, ebenso wie der Verlust eines Partnertieres im späteren Leben. Und es liegt auf der Hand, dass fehlender Sozialkontakt, die Haltung von Gruppen, die nicht harmonieren oder häufig wechselnde Gruppenzusammensetzungen grossen Stress auslösen können. Man muss immer bedenken, dass jede Änderung der Gruppenzusammensetzung zur Folge hat, dass die Rangordnung zwischen den Meerschweinchen neu festgelegt werden muss. Wird ein Tier von seinen Artgenossen gejagt, am Fressen gehindert oder anders schikaniert, sollte man zum Wohle aller Tiere die Gruppenzusammensetzung überdenken und unter Umständen die Tiere in zwei Gruppen aufteilen.
    Besondere Stressoren für Meerschweinchen sind auch die Einzelhaltung und die nicht artgerechte Haltung, mit anderen Tieren, wie zum Beispiel Kaninchen.
    Lange andauernder sozialer Stress bewirkt bei Meerschweinchen-Weibchen eine deutliche Reduktion der Lebenserwartung. Interessanterweise hat dieser Stress aber keine negativen Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Reproduktion. Die untersuchten Meerschweinchenweibchen hatten zwar eine signifikant verkürzte Lebensdauer, setzten in dieser Zeit aber gleich viele Jungtiere in die Welt wie Weibchen der Kontrollgruppe, die ihr Leben in stabilen Sozialgruppen verbringen durften.
    Doch sozialer Stress ist natürlich nur eine mögliche Ursache für Stress. Stress kann durch viele verschiedene Faktoren ausgelöst werden, zum Beispiel durch falsche Haltungsbedienungen, ungeeignete Umgebungsbedingungen, wie die Haltung bei zu hohen oder zu tiefen Temperaturen (Hitze- oder Kältestress, besonders bei Aussenhaltung), Krankheiten, Parasitenbefall, häufige Tierarztbesuche, übermässiges und/oder unsachgemässes Handling durch Menschen oder eine Ausstellung bei Rasseschauen und Tiermessen. Auch eine häufige Umgestaltung des Käfigs oder Geheges ist zu vermeiden, da die Tiere darauf sehr empfindlich reagieren.

    Welche Stresssymptome zeigen Meerschweinchen
    Meerschweinchen zeigen ein breites Spektrum unterschiedlichster Stresssymptome. Hier sollen nur einige Beispiele genannt werden:
    äusserst schreckhaftes Verhalten und ständige Fluchtbereitschaft
    gehäuft auftretendes Erstarren (Freezing)
    grosses Kuschelbedürfnis mit Artgenossen (Kontaktliegen) oder mit menschlichen Bezugspersonen
    plötzlich auftretendes aggressives Verhalten gegen Artgenossen – zum Beispiel oft bei hohen Aussentemperaturen zu beobachten
    Gewichtsverlust
    nervös dedingter Durchfall
    übermässiges Kratzen (ohne physische Ursache)
    Nahrungsverweigerung oder deutlich reduzierte Nahrungsaufnahme (ohne physische Ursache)
    plötzlich auftretende, starke Schuppenbildung – ein häufiges Stresssymptom bei Tierarztbesuchen
    Auch das sogenannte Zirpen oder Zwitschern, ein vogelähnlicher Gesang, wird häufig als Stresssymptom gedeutet.

    Häufige Folgen von Stress sind eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, Endo- oder Ektoparasitenbefall sowie Pilzerkrankungen. Typisch ist zum Beispiel ein Überhandnehmen von Milben mit deutlichen klinischen Symptomen. Auch die gefürchtete Krankheit Leukose kann durch eine starke Stresssituation zum Ausbruch kommen, wie zum Beispiel den Tod des Partnertieres oder eine Abgabe in fortgeschrittenem Alter. Des Weiteren sind gestresste Tiere anfälliger für Verletzungen, weil sie häufig mit panischer Flucht und sehr ungeschickt reagieren.
    Besonders im Zuge von Vergesellschaftungen sollte man alle Tiere der Gruppe sorgfältig aus Stressanzeichen hin beobachten. Dabei ist eine regelmässige Gewichtskontrolle unbedingt notwendig, da der bestehende Stress häufig nur am Gewichtsverlust eines oder mehrere Tiere erkennbar wird. Man sollte in solchen Situationen ganz besonders auf jede Form von sozialen Spannungen achten und immer bedenken, dass es dabei nicht zu auffälligen Kampfhandlungen oder Verfolgungsjagden kommen muss. Meerschweinchen zweigen manchmal ein recht subtiles Mobbing, das der Aussenstehende nicht leicht wahrnimmt. Schon kleine Gesten oder Änderungen der Körperhaltung können das unterlegene Tier an der freien Bewegung im Gehege oder Käfig oder am Fressen hindern. In diesen Fällen ist der Halter besonders gefordert.

    Erkennen von Angst beim Meerschweinchen
    Meerschweinchen sind von Natur aus sehr ängstliche Tiere. Auf bedrohliche Situationen reagieren sie im Allgemeinen entweder mit Flucht oder mit Erstarren, wobei beide Verhaltensweisen auch nahtlos ineinander übergehen können. Angst drückt sich sehr deutlich in der Körpersprache aus, allerdings gibt es rassespezifische Unterschiede, die die Beobachtung erschweren können. Besonders leicht kann man die Körpersprache bei kurzhaarigen Glatthaartieren deuten, da man bei ihnen am leichtesten Rückschlüsse vom Aussehen des Fells auf den Gemützustand ziehen kann. Beim ängstlichen Meerschweinchen wird das Fell dagegen locker getragen.
    Das zweite wichtige Indiz, das man bei den meisten Meerschweinchen heranziehen kann, obwohl es auch hier individuelle Unterschiede gibt, sind die Augen. Bei einem ängstlichen Meerschweinchen sind die Augen weit aufgerissen und blicken starr. Entspannte Meerschweinchen haben dagegen eher mandelförmige Augen, die manchmal auch zu Schlitzen verengt sind, wenn die Tiere entspannt ruhen. Bei einem unternehmungslustigen Meerschweinchen, das sich nicht fürchtet, sind die Augen rund, aber nicht aufgerissen.
    Das dritte Anzeichen für Ängstlichkeit ist die Körperhaltung. Ist der Körper klein und zusammengekauert, oder wird der Bauch beim Laufen tief am Boden gehalten, ist das Meerschweinchen zumindest verunsichert. Häufig werden auch die Krallen eingesetzt, wenn man das Tier auf dem Arm hält. Es ist jederzeit bereit, sein Heil in der Flucht zu suchen und muss daher immer sicher fixiert werden.
    Werden Meerschweinchen auf dem Arm gehalten, zeigen sie aber häufig auch ein deutliches Erstarren (Freezing). Oft wird dieses Verhalten falsch gedeutet, und unerfahrene Meerschweinchenhalter glauben, dass das Tier gerne bei ihnen ist, weil es so still dasitzt und es doch zu geniessen scheint. Dabei hat das Meerschweinchen grosse Angst und sollte so schnell wie möglich aus der misslichen Lage befreit werden. Ein solches Meerschweinchen erkennt man an der kompletten Starre des Körpers, die Augen sind im Allgemeinen aufgerissen. In manchen Situationen kann der Körper aber auch vollkommen entspannt wirken, wenn das Tier jede Gegenwehr eingestellt hat und sich vollkommen seinem Schicksal ergibt Ein Beispiel dafür ist das Verhalten mancher Tiere, wenn man sie auf den Rücken umdreht. Sie bleiben – scheibar entspannt – regungslos liegen.

    Stressreduktion
    Viele Situationen, in denen Meerschweinchen grossem Stress ausgesetzt sind, wie zum Beispiel ein Tierarztbesuch, lassen sich nicht vermeiden. Hat der Halter eine vertrauensvolle Beziehung zu seinen Tiere, kann er allerdings versuchen, zu einer Entspannung der Situation beizutragen. Man muss aber immer beachten, dass Meerschweinchen als hoch soziale Tiere sehr stark auf den emotionalen Zustand des Menschen, zum Beispiel die Nervosität des Halters, reagieren können. Der Halter sollte darum stets bemüht sein, für eine ruhige, aber dennoch abwechslungsreiche Atmosphäre zu sorgen. Eine tägliche Routine aus Fütterung, Handling und Freilauf gibt Meerschweinchen Sicherheit und wirkt sich besonders bei ängstlichen Tieren sehr positiv aus. Eine häufige Umgestaltung des Käfigs oder Geheges sollte vermieden werden. Und es ist auch wichtig, dass man die Tiere nicht dadurch verunsichert, dass man sie beispielsweise am Ende des Freilaufs immer einfängt und in den Käfig zurücksetzt, weil diese Jagdsituation grossen Stress bewirkt. Viel besser ist es, wenn man den Tieren beibringt, den Käfig selbstständig zu verlassen und auch wieder freiwillig dorthin zurückzukehren. Trotzdem ist regelmässiges Handling der Tiere wichtig, sowohl im Hinblick auf den Sozialkontakt zum Menschen als auch für die tägliche Gesundheitskontrolle. Das Tier wird so auch viel eher lernen, den menschlichen Kontakt zu tolerieren bzw. Irgendwann sogar schätzen zu lernen, was im Falle einer Krankheit lebensrettend sein kann, weil das notwendige Handling das kranke Tier nicht noch zusätzlich stresst.
    Der wichtigste Faktor, der beruhigend auf Meerschweinchen wirkt, ist aber die Gesellschaft anderer Meerschweinchen in einer harmonischen Gruppe. Auch Fressen wirkt stressreduzierend, vorausgesetzt, das Tier ist überhaupt bereit, in einer Situation Nahrung zu sich zu nehmen – auch hier gilt: In der Gruppe schmeckt es am besten. Und nicht zuletzt ist Bewegung sehr wichtig für den Stressabbau.
    Zun Abschluss muss noch erwähnt werden, dass Stress durchaus nicht immer etwas Negatives ist. Ein gewisses Mass an Stress braucht der Organismus sogar zum Überleben. Ganz ohne Anstrenung und Stimulation von aussen geht es nicht. Und gerade in der Tierhaltung kann fehlender Stress auch ein grosses Problem darstellen. Die Tiere bekommen Futter in ausreichender Menge und eine Sicherheit, die kein wild lebendes Tier kennt. Dadurch fehlen gleichzeitig jede Abwechslung und Herausforderung. Es liegt daher immer am Halter, den Tieren eine Umgebung zur Verfügung zu stellen, die möglichst reich an positiven Reizen ist, damit keine tödliche Langeweile aufkommen kann.